Neuerung in Bezug auf die Pflichten und Rechte des Gemeindevorstehers. Dieser habe unter dem Titel eines „Polizei- und Bezirksvorstehers''' sowohl für die Interessen der Gemeinde alles Bestehende aufrecht zu erhalten, dien Kultus zu heben, die Wohltätigkeitsanstalten zu unterstützen und das Gemeindeeinkommen zu steigern, aber auch das Polizeiliche zu handhaben und alle vier Wochen eine Beratung über alle Gemeindeangelegenheiten mit dem Ausschluß zu halten. Drei Gemeindemitglieder wurden laut Erlaß des Oberamtes für diese Polizeistelle vorgeschlagen. Samuel Hirschel, Benedikt Nagler, Wolf Blumberg. Hirschel wurde vom Oberamte als Vorsteher gewählt und trat somit an die Stelle des seit 1821 als Vorsteher amtierenden Joachim Perutz (1. Nov. 1839), welchem weiterhin als Synagogenvorsteher Aron Stern und als Ausschußmänner Josef, Hahn und Marcus Birnbaum nebst dem Lehrer Stern zur Seite stehen. Das Oberamt hatte auch die Wahl eines andern Synagogenvorstehers an Stelle Sterns vorgeschlagen, die Gründe dafür sind nicht zu ersehen und obwohl der Kreisrabbiner David Pick mit äußerst anerkennenden Worten den bisherigen Synagogenvorsteher zu belassen bat, stimmten einige Ausschußmitglieder dafür, daß dem Auftrage des Oberamtes Folge zu leisten sei. Vielleicht hatte die schlechte finanzielle Lage der Gemeinde Anlaß zu Unstimmigkeiten gegeben, denn in einem Rechtsstreit der Judengemeinde mit dem Magistrat um die „Ausästung" der Sackgasse, die von der Judengasse nach links abzweigt, verweist der Vorstand auf den Schuldenstand, „ohne zu wissen, wie solcher getilgt werden könne. Es sei überdies Pflicht des Magistrates auch des Ausbaues der Judenstadt, von d,er er Einkommen bezieht, sich anzunehmen". Schließlich bewilligt die Judengemeinde 120 fl. C. M. Der Magistrat übernahm damals (1840) das neue Bad und sollte dem bisherigen Pächter Jakob Meilnr für den Verdienstentgang eine Entschädigung zahlen, da die Gemeinde dazu nicht in der Lage sei. Das Oberamt hat offensichtlich in dieser Zeit die Angelegenheiten der Judengemeinde unter schärfere Kontrolle genommen. Die israelitische Armenkasse, deren Kassiere Wolf Blumberg und zuletzt David Birnbaum gewesen, wurde über amtlichen Auftrag von der Gemeinde selbst übernommen und Samuel Herrschmann amtlich als Kassier bestimmt, nach dessen Resignation Sigmund Lederer 1841 als Kassier zeichnet. Im selben Jahre beauftragt die Herrschaft die Neuwahl des Vorstehers. Vorgeschlagen waren: Aron Baum, Moses Kantor, Simon Strasser, Samuel Hirschel, A. M. Birnbaum, Abraham Glogau, Marcus Heller, Wolf Blumberg, Naphtali Katz, David Popper, Joachim Perutz und Josef Hahn. Simon Strasser wurde zum Vorsteher gewählt und um die Bestätigung beim Oberamte angesucht. Der Gewählte lehnt mit Rücksicht auf die „schmählichen Nachreden bei seinem Abtritte als Synagogenvorsteher ab". Da auch der vorgeschlagene David Kohn eine Wahl refüsiert, übernimmt Leopold Kohn dieses Amt, legt es aber schon im August 1842 nieder und Aron Stern übernimmt als neugewählter Gemeindevorsteher die Führung der Gemeinde und die Verwaltung ihres Eigentumes. Worin bestand denn der Besitz der Judengemeinde? Da war 1. das Gemeindehaus Nr. 5, 2. das Gemeindehaus in der Sackgasse Nr. 24—25, 3. das Aschenhaus, 4. das Badehausgebäude samt dem Judenbad, 5. die Synagoge, 6. der Friedhof, 7. die Requisiten der jüdischdeutschen Schule, 8. die Requisiten zur Mazziit— bereitung unter Aufsicht des Isak Sonnewald. Die Einnahmen lauten auf 4821 fl. 54 kr. W. W., die Ausgaben auf 3414 fl. 35 kr., somit der Kassenstand auf 1/07 fl. 19 kr. Die Krankenpflegeinstitution zeigt einen Kassenstand von 245 fl. 31 kr. und die Fremdenkassa von 33 fl. 38 kr. und zwei Staats-schuldenverschreibungen (im Jahre 1842). Mit diesen Feststellungen enden die Aufzeichnungen des Gemeindeprotokolls v. J. 1799 mit der Hinzufügung, daß mit der Übergabe des Protokolls von Stern und E. L. Landesmann an Gottlieb Horwitz, d. i. bis zum 21. September 1849, kein Protokoll mehr in dieses Buch eingeschrieben und ein neues zum Ankauf bestimmt wurde. Es ist bedauerlich, daß trotz aller Bemühungen die Protokolle vom Jahre 1842 bis zum Jahre 1885 bis zum heutigen Tag unauffindbar sind. Gerade diese Jahrzehnte sind ja die Zeit des Überganges aus der vormärzlichen Zeit zur neuen Gestaltung der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Zustände. Es muß der Zukunft vorbehalten bleiben, diese Epoche jüdischen Lebens und innergemeindlicher Entwicklung im einzelnen darzustellen, bis ein glückliches Geschick uns hoffentlich doch in den Besitz der Aufzeichnungen bringen wird. Ich verweise deshalb ganz kurz auf die in Wanies Darstellung gebrachte Notizen aus nichtjüdischen Quellen. Die Judengemeinde wächst. Lebten um 1850 500 Juden in Teplitz, so sind ihrer 1870 schon 1280 unter 10.155 Einwohnern; 1880 bereits 1718, 1890 ist die Zahl jüdischer Einwohner auf 1865 gestiegen bei 17.500 Einwohnern33). Wir müssen uns begnügen, einzelnes, was wir feststellen konnten, hier zu erwähnen. Im Jahre 1836, als Dr. Z. Frankel das Rabbineramt in Teplitz übernahm, begründete Naphtali Katz dias Badehospital, welches, wie die Aufschrift über dem Portal noch heute zeigt: „Badehospital für in- und ausländische arme Israeliten. Errichtet durch Nephtali Katz im Jahre 1836." bestimmt war und dessen Entwicklung ein Bild edler Wohltätigkeit und uneigennütziger Hilfsbereitschaft sowohl von Seiten der leitenden Ärzte, wie auch seitens der führenden Männer bietet. Als erster Primararzt wirkte viele Jahre Dr. Gottfried Schmel-kes, der auch im Rate der Stadt wirkte. Damals lag diese Wohltätigkeitseinrichtung noch in ihren Anfängen. Im Jahre 1831 war das Institut mit wenigen Betten im Gemeindehause untergebracht worden und erst später übersiedelte es in das von Nephtali Katz angekaufte größere Heim in der Lindenstraße. Seinen Direktoren, unter denen Josef Rindskopf einer der ersten war, gelang es, durch Errichtung frommer Stiftungen seitens wohltätiger Juden und diurch kluge und energische Aktionen das Institut immer weiter auszubauen und tausenden Kranken im Laufe der Jahrzehnte die Wohltat der Teplitzer Thermen an-gedeihen zu lassen. Bis zum Jahre 1932 hatten weit an 10.000 Kranke unentgeltliche Verpflegung und ärztliche Behandlung während der Sommermonate genossen, die sich aus verschiedenen Staaten Europas rekrutieren. In diesem Jahre wurde einem der edelsten Menschen unserer Stadt und unserer Gemeinde, dem Geheimen Sanitätsrat Dr. Ignaz Hirsch, im Vorräume des Hospitals von dankbaren Patienten eine ehrende Gedenktafel gewidmet und am 10. August 1909, dem ersten Jahrestage seines Todes, unter Anwesenheit zahlreicher Ehrengäste aus den Kreisen des politischen Amtes, des Gerichtes, der Stadt, der Fachgenossen und der Kultusgemeinde feierlichst enthüllt, leplitz 13 Ö58 wobei der Rabbiner Prof. Dr. Kurrein die abschließende Festansprache hielt. Geheimrat Hirsch, der auch dem Stadtverordnetenkollegium angehörte und sich wissenschaftlich betätigte, hatte nahezu 40 Jahre selbstlos als Chefarzt des Hospitals den Kranken seine ausgezeichneten Dienste gewidmet. Er erhielt 1878 den Titel eines Kgl. Preußischen Sanitätsrates, 1883 den Preußischen Roten Adlerorden, 1893 den Titel Geheimer Sanitätsrat, 1898 vom damaligen Kaiser das Ritterkreuz des Franz Josefsordens, im Jahre 1908 vom ehemaligen deutschen Kaiser den Preußischen Kronenorden 3. Kl. und wurde 1908 als ehemaliges Mitglied des Stadtrates und erster Jude Ehrenbürger der Stadt Teplitz. Am 10. August 1908 starb er im Alter von 74 Jahren, nachdem ihm ein Jahr vorher seine Gattin Pauline, geb. Mendel, nach 44 jähriger glücklichster Ehe im Tode vorangegangen war. Er gedachte noch in seinem Testamente des Hospitals mit einem Legate. Dem großen Beispiele des Vaters folgend, versieht Dr. Rudolf Hirsch seitdem das verantwortungsvolle Amt des Chefarztes im Hospitale in bewunderungswerter und gütiger Weise, nachdem er schon seit dem Jahre 1897 an der Seite seines Vaters als zweiter Arzt gewirkt hatte34). . . Als Direktoren wirkten im Hospitale Josef Rindskopf, Moritz Steiner und nach dem frühen Ableben Ludwig Rotschilds (gest. 9. Jänner 1927). Dr. Josef Polaček, der seitdem umsichtig und fördernd die Agenden des Institutes leitet. Das alte Gebäude wurde gründlich renoviert und durch die Aufsetzung eines zweiten. Stockwerkes die Möglichkeit geschaffen, die Bettenanzahl zu vermehren. Kehren wir wieder in die Vergangenheit unserer Gemeinde zurück. In den vierziger Jahren, in denen, wie wir bereits erfahren haben, David Pick das Rabbi-nat inne hatte und die Kultusreform, wenn auch be-grenzt durch die Widerstände konservativer Gemeinde-mitglieder, weitere Fortschritte machte, wurde das Eheschließungsrecht erweitert (1843), das israelitische Lokal-Armeninstitut in Teplitz gegründet, dessen Direktor Rabbiner Pick war und dessen Verwaltung A. M. Birnbaum, David Popper und Hieronymus Perutz übernahmen. Die Judensteuer fiel 1846. Die Juden wurden aus der Untertanenklasse entlassen, verschiedene Ausnahmsbestimmungen waren mit dem Revolutionsjahre 1848 hinweggefegt, die Juden erhalten volle Bürgerrechte. 1849 ziehen die Juden erstmalig als Bürger in die Stadtgemeinde ein, die Judengasse wird erweitert, beleuchtet und gepflastert. Im Jahre 1861 vollzieht sich der völlige Anschluß der Juden an die Stadtgemeinde mit gleichen Rechten und gleichen Pflichten35). Die jüdische Gemeinde hört auf eine Kommune in der Kommune zu bilden, sie zahlt an die Stadtgemeide 30.000 fl., wogegen diese sich verpflichtet, den jüdischen Gemeindemitgliedern das Bürgerrecht zu verleihen, die jüdische Schule mit zwei Lehrkräften in dem städtischen Schulgebäude zu erhalten, und den städtischen Sitzungssaal der Gemeinde im Bedarfsfall zur Verfügung zu stellen. Dafür übernimmt die jüdische Gemeinde die Fürsorge für ihre Armen. Die Wasserversorgung der Judengasse, welche später den Namen Karlsgasse erhielt, wird durchgeführt, das Sofienbad bleibt im Besitze der Judengemeinde, die es an die Stadt verpachtet. Es sei erwähnt, daß in diesen Jahrzehnten die Beerdigungsbrüderschaft, deren Bestand wir schon am Anfang des 19. Jahrhunderts aus den Quellen kennen und deren Anfänge natürlich auch in T ©plitz auf eine weit frühere Zeit zurückreichen, nach wie vor ihre pietätvolle Tätigkeit gegen Tote und Lebende übt. Ihr verdienstvoller Vorsteher .war damals Samuel Fürth. ' Es wirkten in den fünfziger Jahren auf humanitärem Gebiete der Verein „Bikkur Cholim", dessen Vorsteher Ludwig Hahn war, der „Frauenverein", der „Verein frommer Frauen', über die wir noch einiges berichten werden, der „Brautaussteuerverein" uiiter Vorsitz von Rosa Perutz, der Verein „Talmud-Thora", dessen Leitung Leopold Samel inne hatte, der „Tempelverein" mit David Fischer und Moritz Taussig an der Spitze, der „Gewerbeverein" unter Führung Von Ludwig Hahn, die „Philipp Spitzsche Chanuka-Stif-tung zur Bekleidung armer Kinder am Chanukafest", die vom Stifter geleitet wurde. Wir haben in den sechziger Jahren schon an 60 größere und kleinere Stiftungen36). Der Vorsteher der Gemeinde in den vierziger Jahren war Aron Stern, der Lehrer an der jüdischen Schule war zu jener Zeit Daivid Sohr. Als Vorbeter wird uns in diesen Jahren Lippmann Deller und Josef Mayer, als Tempeldiener Isak Sonnewald (1840) und Jesaias Walter (1846) genannt. Die Geschichte der israelitischen Privatschule wird einer besonderen Betrachtung weiter unten überlassen. ■ In dieser Zeit finden wir eine durchaus geordnete Matrikenführung in unserer Gemeinde, und in ihrem Kreise. Die Matriken sind ornungsgemäß seit 1840 geführt. Wir haben aber regelmäßige Aufzeichnungen der Trauungen seit 1789, der Geburten und Sterbefälle seit 1815. Die Eintragungen werden, wie überall, auch in Teplitz nunmehr nicht mehr vom Lehrer der deutschen Judenschule wie ehedem, sondern vom Rabbiner durchgeführt und vom Dechanten regelmäßig kontrolliert. So zeichnet 1840 und folgende Jahre Pater Hikisch, Dekan Administrator, 1847 De-chant Dobisch. Aus den Matrikenbüchern ergibt sich, daß eine bedeutende Anzahl von Ortschaften zum Gemeindebezirke der Teplitzer Matriken gehörte. Es sind dies Peterswald, Sensemitz, Dorf Prassetitz, Dorf Turn, heute die bedeutende Industriestadt, die mit Teplitz baulich verbunden ist, Dorf Schönau, Aussig, Tür-mitz, Dorf Kulm, Dorf Schobritz, Krzemusch, Gar-ditz, Stadt Türmitz, Dorf Mosern der Herrschaft Priesnitz, Dorf Niematschken der Herrschaft Kostenblatt, Dorf Pokau, Auf der Königshöhe, Haan, Dorf Kostenblatt, Arbesau, Spansdorf, Stadt Bilin. Beerdigt wurden in Teplitz Personen, die mitunter aus weiterer Entfernung stammten, so aus Prag, Dresden, Leipzig. Es mag auch der eine oder der andere als Heilungsuchender hier gestorben sein und hier seine letzte Ruhestätte gefunden haben. Eine Episode aus der Amtszeit des Kreisrabbiriéřs Pick verdient festgehalten zu werden. Im Jahre 1847 erhoben die Ausschußmänner mit anderen Gemeinde-mitgliedern eine Beschwerde 37) gegen den Kreisrabbiner, welche, sofern nicht persönliche Gründe den Anlaß gaben, geradezu einen Kulturkampf jener Tage in der Judengemeinde Teplitz darstellt. Die Beschwerde wurde erhoben, weil er, „durch die von ihm besuchte Rabbinerversammlung in Breslau aufgeregt, sich als Reformator aufspiele, weil er ferner katholische geistliche Kleidung getragen, mit semer Frau auf öffentlicher Promenade am Arme spazieren gegangen sei und weil er schließlich sich um die rituelle Gebahrung der Gemeinde zu wenig kümmere, die Erziehung der Jugend vernachlässige und in seinen Predigten die rabbinischen Gesetzesschriften und Gebräuche ver- 42* 659 tepliti 14