im j. iyuö gedachte ein (jönner unserer Gemeinde in hochherziger Weise. Die Erben des Nathan Stein in Rochester (U. S. A.), geb. in S., sandten seinem Vermächtnis gemäß der Gemeinde 1000 Dollar, die als Stiftung für Herschmann und Bella Stein verwendet wurden. Ein edles Werk, das seinen Schöpfer unsterblich gemacht hat. Das Leben geht seinen normalen Lauf. S. zählt bereits 1900 Einwohner; die Zahl der christl. Bevöl-' kerung vermehrt sich und, auch eine Čech. Schule wird errichtet. Die Zahl der Juden geht weiter zurück, dafür aber wächst und entwickelt sich die Stadt Turn, so daß sie immer mehr und mehr zur Verbin-dungsstadt zwischen S. und Teplitz wird. Auch die Juden in Turn gewinnen für S. immer größere Bedeutung und zählen bereits 850 Seelen. An dem Aufschwung der Industrie haben die Juden einen mehr als quotenmäßigen Anteil. Unter vielen anderen wären als Industrielle und gleichzeitige Gönner der K. G. hervorzuheben: Die Familien M. Bloch Söhne in S. als Begründer der Posamentenindustrie in S.; Josef Dub in Karbitz, Lederfabrik, von dessen Sohn Alfred Dub erweitert; Bernhard B 1 o c h, Eichwald, Porzellanfabrik; Fabrikant Kopetzky, Turn; Eduard Propper, Fabrikant und gewes. Stadtrat in Turn; Fabrikant Rindskopf in Graupen und Mariaschein; Fabrikant Herm. Krauskopf, Karbitz; Hirsch Getreuer, Fabrikant Julius Winter und die Fa. Getreuer. Unzählige Fabriken erstanden auf dem Gebiet der K. G., deren Inhaber jedoch in Teplitz wohnen. Auf dem Gebiete der Heilkunde wirkten und wirken Männer, die sowohl zufolge ihrer allgemeinen Wertschätzung, wie auch als treue Förderer unserer Gemeinde genannt zu werden verdienen; es sind dies Dr. Hugo K ü c h 1 e r in Modlan und Dr. Isidor Freisinger s. A., ferner Dr. Ernst Lieben in Turn. Durch ihre achtunggebietenden Leistungen auf den obgenannten Gebieten, wie auch auf politischem Gebiete, von dem wir noch sprechen werden, war bei allem durchsickernden Antisemitismus eine Atmosphäre und ein Kontakt zwischen den Juden und den anderen Konfessionen geschaffen worden, der beim Ausbruch des Weltkrieges (1911) alle, ohne Glaubensunterschiedl, als eine Familie in Freud und Leid verbunden fand. Die Not in S. aber war für die Gemeinde und ihre Mitglieder eine dreifache. Es war das hungernde Industriegebiet, die Söhne an der Front und im K. G.-Sprengel allein mußten 10.000 jüd. Kriegsflüchtlinge untergebracht und versorgt werden. Zum Lobe der hiesigen jüd. und christl. Bevölkerung wie auch als Verdienst der Behörde sei erwähnt, daß alle ihr möglichstes zur Erfüllung dieser großen Aufgabe beigetragen haben. Es wäre zuviel, hier die einzelnen Namen aufzuzählen, denn ein jeder tat, was er konnte, um die Not zu lindern. Auch unsere Gemeinde hat die Namen der Opfer des Weltkrieges auf einer marmornen Tafel verewigt. Es sind dies: Richard Ábeles, Josef B 1 o c h, Max Bran d, Leopold Federer. Rudolf G u n s t, Karl Hah n, Hermann H e i n i t z, Emil K o h n, Heinrich Kraus, Oskar Läufer, Richard L a u f e r, Fritz L e k n e r, Theodor L ö w y, Richard Neu m a n n, David P i c k, Max S c h 1 a d-n i c h, Maxmilián Steiner und Leo Wolf. Tragisch war der Verlust unseres hochgeachteten Vorstandsmitgliedes Gottl. B 1 o c h, dessen einziger Sohn Josef als Ob.-Lt. am letzten Tage d!es Weltkrieges gefallen ist. Während des Krieges verlor die K. G. auch ihren Rabbiner Max K o h n plötzlich am Tage seiner' silbernen Hochzeit im 49. Lebensjahre. Im J. 1917 übernimmt das Rabbinat Josef S a g h e r, verläßt jedoch schon 1921 diesen Posten. Als allseits beliebter und umsichtiger K. V. und gleichzeitiger Obmann der Ch. K. bekleidet seit 1893 noch immer Karl W e i n f e 1 d diese Ehrenstellen undí A. ß 1 o c h die des II. Vorst. und Kassiers. Am 5. Februar 1922 erfolgt nach einer Probepredigt die einstimmige Aufnahme des Verfassers dieser Monographie als Rabbiner der hiesigen K. G. Er trat diesen Posten nach vorhergegangenen Studien und erlangter Rabb. Autorisation an der öffentlichen Rabbinatschule in Preßburg an, welche Stelle er nach Erteilung des Definitivums noch heute bekleidet. Im selben Jahre wird der Tempel in S. wieder renoviert und am 25. August 1922 feierlich eingeweiht. Im J. 1922 gab es noch Religionsunterricht in Turn, Soborten, Karbitz, Mariaschein, Graupen, Os-sek, Kosten, Klostergrab und Eichwald. Der jüd. Nachwuchs vom Lande hörte jedoch allmählich auf, so daß heute (1933) nur noch in S. und an den cech. und deutschen Volks- und Bürgerschulen in Turn Religion erteilt wird, mit dem Unterschiede, daß es während meiner ersten Amtsjahre in Turn 18 Kinder und der Rest in der Provinz zu betreuen waren, während es heute in Turn rund 120 jüd. Kinder sind, der Provinzunterricht aber ganz aufgehört hat. Unsere K. G. beschloß in diesem Jahre des greisen, verdienstvollen Präsidenten unserer Republik T. G. Masaryk allsabbatlich im Gebete zu gedenken, dem Staate und seinen Führern Dank zollend. Auf politischem Gebiete nehmen die Juden ebenfalls regen Anteil und beeinflußten in beträchtlichem Maße die Arbeiten in der Gemeindestube der Stadt Turn, Karbitz, Soborten, Eichwald usw. Mehr als einmal konnte der antisemitischen Welle ein Damm gesetzt werden durch die sinnvolle, offene und aufrichtige Politik geachteter jüd. Männer, deren Leben und Wirken sich den Respekt aller abrang. In S. selbst war es vor allem der erst kürzlich zu Grabe getragene K. V. Karl W e i n f e 1 d s. A., der als Approvisionierungskommissär im Weltkrieg die allgemeine Not seinem Orte durch besondere Fürsorge ersparte und wie ein kluger Ratgeber — ohne die Vorsteherschaft der polit. Gemeinde anzunehmen — in allen Belangen mit Rat und Tat beistand. Die Herren Bloch, Julius Taussig s. A. und, noch viele andere hatten führenden Anteil an der Leitung der Geschicke der polit. Gemeinde. Jul. Taussig s. A. und der derz. K. V. Fabrikant Adolf Bloch gründeten im J. 1875 die freiw. Feuerwehr, welche von dessen Sohn Bernhard Bloch eifrig gefördert wird. ■—• In Turn waren bereits zu Beginn des 20. Jhts. Fabrikant Eduard Propper im Stadtrat, Fabrikant Kopecký, Dr. Heinrich Steiner, Advokat, und Dr. Is. Freisinger bis zu seiner Ernennung zum Stadtarzt; derzeit wirken als alte Vorkämpfer ihrer Partei Dr. Lieben und Siegfried Ábeles íseit 54 Jahren der Partei angehörend) als Stadträte in Turn und nehmen eine besonders geachtete Stellung ein. Seit 1929 ist auch die jüd. nation. Partei durch Leo Fischer als Stadtverordneten erfolgreich vertreten. Derselbe gehört auch der Repräsentanz der Landesjudenschaft Böhmens an. Bereits in der früheren Wahlperiode fehlte der jüd. Partei bloß eine einzige Stimme für ein Mandat. Auch in allen anderen Vereinen und Institutionen haben Juden führenden Anteil. Rudolf P a c h n e r als Vizepräs, im Handelsgremium, Teplitz, Gustav Glaser als Obmann des Verschönerungsvereines in Turn; Hugo Schlack, Obmann des Gebirgsvereines, und viele andere. Es ist daher begreiflich, wenn Juden und 606 Christen, trotz des derzeit antijüdischen Kurses in dem nachbarlichen Deutschland, in friedlichstem Neben- und Miteinander ihren Kampf ums Dasein führen. An jüd. Vereinen der K. G. sind hervorzuheben: Die Ch. K., „Verein heil. Bruderschaft", der den Pflichten dem Toten, Sterbenden, Kranken^ und Hilfsbedürftigen gegenüber obliegt. Dieser Verein, der im Judentum stets als unentbehrlichste Institution galt, dürfte zu allererst entstanden sein, noch bevor das jüd. Leben in S. irgendeine Gemeindegestalt angenommen hatte. Dem ältesten Protokollbuch nach (laut Kassabuch vom J. 1858) bestand der Vorstand der Ch. K. im J. 1875 aus den Herren: Israel Schla dnicli, Moses L ö w y, Jakob Gunst, Efraim Eckstein, Jakob Langstein, Moses Bloch, Sandl K a n : o r und Sime N e u m a n n. Bei der Neuwahl der Ch. K. im J. 1881 wurde Josef Gunst zum I. Vorsteher und Leb B a u c li und Mäier P o 11 a k als II. Vorsteher gewählt. Ferner war Ch. K. V. bis 1915 Herr Bernhard Steck ler und dann bis 1933 Herr Carl W e i n f e 1 d. „Der Frauen-Verein in alter Zeit", „Na-schim zadkonioth" genannt, sorgt für Tempelgeräte, wie Perachoth, Mäntelchen, Ornate usw. und für die Unterstützung verschämter und armer Frauen, wie auch mittelloser Bräute und alter kränklicher Leute. Verdienstvolle frühere Präsidentinnen des F. V.: Mina Kusina und Klara S t e c k 1 e r. Derzeitige Präs. Josefine W e i n f e 1 d, Vizepräs. Maivine Abe-1 e s, Kassierin Eugenie Bloch, Schriftführerin Helene Bloch. Der „T e m p e 1 v e r e i n" wurde im J. 1900 über Initiative des Gabriel Taussig, Modlan, eines eifrigen und ehrenwerten Gönners unserer Gemeinde, gegründet. Er stand diesem Vereine Ins zu seinem Tode i. J. 1919 als Obmann vor; sodann übernahm Otto Ábeles bis zu seinem plötzlich erfolgten Ableben i. J. 1928 die Führung. Von da ab wurde Leo Fischer, Stadtverordneter in Turn, als Obmann gewählt. Der weitere Vorstand besteht derzeit aus den Herren: Ernst P o 11 a k, Obm. Stv., Eduard L ö w y, Kassier, Georg K r e i s 1, Schftf., Fritz Bloch, Verg. Obm. Dieser letzgenannte Verein hat bisher durch alle seine Obmänner, wie auch durch seine vielen neuen Mitarbeiter, die jener Aufgabe in Liebe ergeben sind, Hervorragendes geleistet. Die alljährliche Bekleidung armer Kinder zu Chanuka, Unterstützung von Hilfsbedürftigen, die Durchführung von Baulichkeiten an den Häusern der Gemeinde und ihrem Tempel, wie die Erhaltung und Pflege von Chor, Orgel und Inneneinrichtung, ist stets sein gutes Werk gewesen. Die Mittel werden durch Spenden, Subskriptionen und den alljährlich gut besuchten Purimball herbeigeschafft. Unter der Patronanz des Vereines erfolgt fast jährlich eine gutgelungene Kinderaufführung von bestem Ruf zu Chanuka oder zu Purim. Ebenso wird alljährlich im Juni eine gutbesuchte Schulschlußfeier mit Predigt und Deklamationen der Schulkinder im Tempel veranstaltet. Die Gemeinde erhält auch eine Wohlfahrtskassa für durchreisende Arme, die von einigen hundert Menschen jährlich in Anspruch genommen wird. Alle anderen Vereine, wie „Zion", Liga für das arbeitende Erez Israel, Brautausstattungsverein, „Wizo", „Makkabi", deren Heim in Zinnwald in unserem Gemeindesprengel ist, Ferienheim, Logen usw. sind zufolge der unmittelbaren Nähe von S. Turn-Teplitz unter gemeinsamer Mitarbeit der Mitglieder beider K. G. (Vgl. Gesch. d. Juden in Teplitz.) Die K. G. gehört dem Verband der K. G. mit deutscher Geschäftssprache an. (Präs. Dr. Ernst Cantor, Kultuspräsident in Teplitz.) Sitz der K. G. ist S., dort befindet sich der Tempel, der Winterbetsaal und Sitzungssaal, der Sitz des Rab-binates und der Friedhof. Die letzte Repr. Wahl im J. 1929 ergab folgende Liste: Karl W e i n f e 1 d, Dr. Hirsch, A. Bloch, Ed. L ö w y, E. P o 11 a k, J. Bejkovsky, M. Fuch s, Siegfried Ábeles Gottlieb Bloch, R. P a c h n e r, Hugo Steckle r, Friedrich A n s p a c h, Semi L ö w y, Leo Fischer Ludwig Getreuer, Ersatzm.: David Schmidt S. H. B o n d y, Ad. Taussi g, Ad. Stadler, Wilh. W o h r y s e k, Max Rosenbla.tt, Isak Hornig, Fritz Bloch. Im Juni 1933 wurde an Stelle des bisherigen, durch mehr als 40 Jahre verdienstvoll wirkenden K. V. der bisherige II. V. Adolf Bloch, Fabrikant in S., als I. und Leo Fischer, Turn, als II. gewählt. Der weitere Vorstand besteht aus Gottlieb B 1 o e h, Siegfried Ábeles, Max Fuch s, Ed. L ö w y und Rudolf Pa c h n e r, alle aus Turn. Die Gemeinde hält zwei Angestellte. Den Rabbiner, Matrikenführer und Religionslehrer (seit 1922) J. Hilel Herzl und Salomon L ö w y, Kustos. Sie zählt 195 Steuerträger mit rund 800 Seelen. Das Budget betrug im letzten Jahre 44.685 Kč. Stiftungen zeichneten: Bernat Herschmann, Bella, Charlotte und Gustav Stein; Moses und Betti Bloch, Josef und Eva, Adelhaid, Leopold und Jesaias Bloch ; Nathan L ö b 1, Seligmann K a n-t o r, Ferdinand Budlovsky und Eduard F r e u n d. — Vom Tempelverein aus: Otto Ábeles. — Diese Jahrzeiten werden gottesdienstlich gehalten. Inzwischen wurde auch der K. V. Adolf Bloch (Dezember 1933) wie auch kurz vorher K. V. Carl W e i n f e 1 d unter ungeheuerer Beteiligung aller, ohne Unterschied der Konfession, zur ewigen Ruhe gebettet und so zeigte ihr Tod noch mehr, was diese Männer im Leben uns und den anderen gewesen. Die kommende Leitung der Gemeinde bleibt einer demnächst erfolgenden Wahl vorbehalten. Die Aufgabe, jüdisches Fühlen und Denken, wie das alte Erbe Jakobs, die Gotteslehre, in der Erhaltung alter, ehrwürdiger Stätten jüdischen Gemeindelebens zu bewahren, ist jedem unserer Gemeinschaft eine Herzenspflicht, dem die Liebe zu unseren Vorfahren und zu ihrem ererbten Glauben ein für irdischen Lohn unveräußerliches Ideal bedeutet. 607