„Wenn fremde und selbst Schweizer Handelsleute sich mit Einkehrhäusern begnügen, werden sie wohl auch für die Rekurrenten angemessen sein. Es sind in R. 27 Fremdenzimmer. Sie reichen aus, wenn nur Juden nicht wie bisher sich ununterbrochen das ganze Jahr in R. aufhalten wollen." Diese Argumente machten auf die Rekurrenten keinen Eindruck und sie legten gegen das Kreisamt Beschwerde ein. Bald darauf belehrt das Landespräsidium die Kreishauptmannschaft: „Nur im Geiste der bestehenden liberalen Handlungsgrundsätze muß sich überhaupt gegen die fremden Warenabnehmer benommen werden." Also „oben" wehte jetzt ein anderer Wind. Die Untersuchungsakten wurden nun der Hofstelle in Wien vorgelegt. Von ihr kam am 21. Feber 181.L ein Erlaß, der im Wesentlichen lautete: „Die Hof kämme r hat mit Befrenulen das Benehmen der Reichen-berger Obrigkeit ersehen, welche sich angemaßt ha t, aus eigener Macht den nach R. zum Wareneinkauf kommenden Fremden und Ausländern iu -der Regel keinen längeren Aufenthalt als 14 Tage zu gestatten, ihnen sogar die Unterkunft in Privathäusern zu untersagen. Solche Maßregeln, die in die höheren Kommerzialrücksichten eingreifen, mit den Vorschriften der milden österr. Regierung unvereinbar sind und für den Staat von den schädlichsten Folgen sein können, seien auf keinen Fall zu rechtfertigen, besonders da sie ohne vorherige Anfrage bei der Landesstelle getroffen wurden. Es sei daher die ganze Verordnung der Rei-chenberger Obrigkeit als nichterlassen anzusehen und derselben ihre Eigenmächtigkeit zu verweise n." Im Sinne dieses Hofdekretes erging im Juli 1811 ein Erlaß des Guberniums: „Der fixe und beständige Aufenthalt in R. ist mit Rücksicht auf das Patent vom J. 1797 zwar keinem Juden gestattet, dagegen darf bei dem zeitweiligen Aufenthalt keine Ausnahme zugunsten einzelner, im Vorhinein bezeichneter jüd. Handelsleute stattfinden, sondiern jedem fremden Handelsmann ohne Unterschied der Religion muß nicht nur erlaubt sein, nach R. zu kommen, und daselbst seine Geschäfte ungehindert zu besorgen, sondern es muß ihm dabei alltunlicher Vorschub geleistet werden. Die von der R.-er Obrigkeit zugefügte Begünstigung der eigens bezeichneten jüd. Handelsleute wird daher als unzulässig aufgehoben. 2. Kann den jüd. Fabrikanten und Handelsleuten, oder ihren Bestellten, die nach R. kommen, der Aufenthalt auf 3 Tage und überhaupt auf Tage und Wochen nicht beschränkt werden." Dies bedeutete einen mächtigen Schritt nach vorwärts. Ein gewisser Widerspruch ist zwar vorhanden. Der beständige Aufenthalt ist nicht gestattet, aber ebensowenig ist es erlaubt, die Aufenthaltszeit zu beschränken. Statt die gesetzliche Aufhebung des Verbotes der Ansässigkeit anzustreben, begnügte man sich mit solchen Kompromissen. Die Hofkammer bereitete der Grundherrschaft, insbesondere Markow-sky, eine Niederlage. — In seiner Eingabe an die Landesstelle merkt man ihm seine Verlegenheit an. Nun mußte sich die Grundherrschaft vom gewohnten Angriff auf die Verteidigung zurückziehen. Sie wand sich zwischen Beteuerungen und Voraussagungen. „Daß die Grundobrigkeit durch ihre Judenverordnung sich das Mißfallen der Staatsverwaltung zugezogen hat, bedauern wir sehr. Die Sache ist aus einem anderen Gesichtspunkte genommen worden, als es die väterliche und wohlgemeinte Absicht der Grundobrigkeit war. Sie wollte nur den Anmaßungen der Fremden steuern." Süß-sauer erklärt sie dann: „Es sei dem Oberamte die einzige Bemerkung erlaubt: daß durch diese Bewilligung, wenn man nun bald eine halbe Judenstadt in R. entstehen sehen wird, wenigstens die Grundobrigkeit der ihr aufliegenden Verantwortlichkeit enthoben ist." Jahrzehnte hindurch zieht sich der Refrain hin: .,R. könnte eine Judenstadt werden." Wie unbegründet diese Befürchtung war, zeigt die spätere Entwicklung. Auch die freiheitliche Zeit vermochte nicht, einen Beweis für die Berechtigung dieser Annahme zu erbringen. Nach verlorener Hauptschlacht versuchte der Handelsvorsteher Römheld noch ein Nachhutgefecht. Er soll eine Revision des „Prozesses wider die fremden Juden" bewirkt haben. Eindringlich bittet er den Grafen, beim Oberstburggrafen zu intervenieren, damit Hofrat von Prinna sein ausgearbeitetes Referat erstatten könne. Dieser gab die Versicherung, daß die Sache zugunsten des hiesigen Handelsstandes entschieden wird, wenn sie auch erst in Prag anders gewendet würde. Nach dem bisherigen Verlaufe des „Prozesses wider die fremden Juden" für ihn eine günstige Wendung gerade seitens der Oberbehörd'en zu erwarten, war sicherlich eine trügerische Hoffnung. Über das weitere Schicksal dieser Aktion ist nichts bekannt. Sie dürfte im Sande verlaufen sein. Das Verbot der Ansässigkeit blieb im Prinzip aufrecht, wurde aber praktisch durch die Tatsache, daß der zeitliche Aufenthalt nicht begrenzt werden durfte, eigentlich aufgehoben. So erwieß sich auch das zweite Judenverbot als ein Schlag ins Wasser. Seither hat die Herrschaft die Judenfrage betreffend vornehme Zurückhaltung beobachtet. Gleich danach, 1811, befanden sich in Reichenberg etwa 57 Personen jüd. Glaubens. Bis 7Jir Verfassungsära. In den Akten ist keine Spur davon, daß das gräfl. Schloß sich seit der von der Hofstelle geholten Abfuhr die .untergeordneten Ämter angewiesen hätte., sich um die Aufenthaltsfrage der Juden in R. zu kümmern. Vielmehr ist es seitdem ganz still geworden im Oberamte. Der Graf wird die Autorität der Hofkammer für Auslegung der Gesetze anerkannt und sich bei ihrem Bescheide beruhigt haben. Es war dies eine folgerichtige Haltung, die aus seinem Bekenntnis zur Legalität floß. Es war lediglich das Kreisamt, das sich von nun an für die Judenfrage interessierte und den Magistrat drängte, gar oft und zuerst in regelmäßigen Zwischenzeiten einen Bericht zu erstatten. „Der Magistrat scheint diesmal beharrlicher als nach dem J. 1799 das gräfl. Verbot befolgt zu haben, denn als im J. 1824 der jüd. städt. Wegmautpächter Adam Haan darum bittlich wurde, seine Familie von Münchengrätz dauernd hierher kommen zu lassen, verweigerte der Magistrat hierzu seine Einwilligung mit dem Hinweise auf die grundherrlichen Judenverbote. Zu dieser Beharrlichkeit dürfte wesentlich der Umstand beigetragen haben, daß Graf Christian Christof Clam-Gallas oft im Reichenberger Schlosse wohnte und der Oberhauptmann Ludwig, dem Gebote seines Herrn nachkommend, es nicht unterließ, die strenge Durchführung der gräfl. Anordnung dem Magistrate ab und zu in Erinnerung zu bringen.'' Nach dem oben Gesagten entsprechen diese Ausführungen von Hübner nicht den Tatsachen. Wohl wurde . Haan verweigert, seine Familie nach R. zu bringen, aber die Ablehnung war mit anderen Argumenten begründet; die gräfl. Verbole wurden mit keiner Silbe erwähnt. Die Antworten auf die Anfragen des Kreisarztes sind stereotyp. „In der Stadt R. befindet sich kein angesiedeltes Judengeschlecht." (1811.) „In R. ist weder eine Judenfamilie ansässig, noch wohnhaft. Es gibt bloß zeitweilig Aufhaltende, ohne Weib und Kind." (1820.) Noch im J. 1850 berichtete das Stadtverordnetenkollegium der neu eingeführten Be-zirkshauiptmannschaft: „Hierorts bestehen keine jüd. Kultus- oder Unterrichtsanstalten, da in der ganzen Stadtgemeinde kein Jude ansässig ist, den hier befindlichen Juden aber bezügl. ihres Gewerbes nur ein zeitlicher für ihre Person gültiger Aufenthalt bewilligt war und ist." Das stand alles sehr schön auf dem Papier. Gewiß war den Juden in R. die Seßhaftigkeit verwehrt, aber in Wirklichkeit wurde die gesetzliche Bestimmung umgangen. Die wirtschaftlichen Erfordernisse erwiesen sich eben stärker, als bureaukratische Vorschriften. Manch jüd. Inwohner hatte auch Weib und Kind. Aus der Matrik der De-chantei in R. und der jüd. Gemeinde in Turnau ist es bis zur Gewißheit erwiesen, daß bei den Juden in R. nach 1810 Trauungen und Geburten vorkamen. Hierdurch wurde, wenn auch nicht de jure, so doch de facto ein gewisser Grad der Ansässigkeit erreicht. Doch wir wollen den Ereignissen nicht vorgreifen, sondern sie erst der Reihe nach darstellen. Sicherlich war der Magistrat in erster Zeit nach dem zweiten Judenverbote gezwungen, strenger vorzugehen. Hierauf ist es zurückzuführen, daß zwei Juden, Brüder, denen der Wirt des Gemeindehauses Wachtel ein Quartier vermietet hatte, wozu er die Befugnis besaß, es räumen mußten. Es sei ganz ohne Vorwissen des Magistrats geschehen, daß „die beiden Juden sich ins Gemeindehaus als Mieter eingeschlichen haben". Zwei ausländische Juden, die Brüder Beyersdorf, wurden aus R. ausgewiesen. Sie genossen viel Vertrauen und man setzte sich auch vielfach für sie ein. Trotzdem ihre bevorstehende Abschaffung veröffentlicht wurde, trug man ihnen noch namhafte Summen als Darlehen an. Sie kehrten von Zittau zurück, um ihren Verbindlichkeiten nachzukommen und es wurde ihnen die Frist verlängert. Im J. 1815 erhält Markus Taussig eine Geldstrafe von 7 Fl. wegen Offenhalten seines Gewölbes während der Zeit des sonntäglichen Gottesdienstes. 1823 wohnten in R.: Samuel Strenitz, Schutzjude aus Jungbunzlau, Siegmund Haan, Juda Weiss, Samuel Reitler, Jonas Pollak, Wollhändler und Wolf Prinz, Trakteur. Im J. 1827 erhielt die „Judenschaft" von R. die Weisung, sich mit Pässen zu versehen. Die „Judenpässe" wurden nicht einmal auf ein Jahr, ja nicht einmal auf eine kürzere, aber bestimmte Zeit, sondern bloß für einen bestimmten Zweck ausgestellt. Im nächsten Jahre war die Zahl der Juden in R. schon verhältnismäßig stattlich. Sie betrug 57. Wir besitzen die nachstehende Konsignationsliste. Geburtsort: Nathan Pollak Neubidschow Moses Österreicher Turnau Joachim Weil Turnau Leopold Kompert Münchengrätz Markus Sorer Trebitsch Leopold Sorer Trebitsch Josef Pollatschek Neukölln Lazar Fürth Prag S. B. Hirsch Prag Joachim Karpeles Prag Salomon Karpeles Prag Beer Kantor Prag Markus Nevekluf Prag Moritz. Karpeles Prag Wolf E. Schuster Präs Friedmann Bodansky Siegmund Haan Lazar Haan Salomon Kantor Alex. Winterberg Josef Kassier Josef Winterberg Adam Gitschin Abraham Brod Wolf Schulhof Lazar Schulhof Adam Kornfeld Jonas Pollak Benjamin Platter Jakoib Platter Leopold Kompert Josef Pollatschek Löbl Taussig Philipp Österreicher Salámem Kraus Nathan Diener Simon Moscheies Samuel Fleckeies Isaak Fürth Isaak Lobositz Löw Freyberg Salomon Löwy Kuh J. Bondy Heinrich Gutfreund Löbl S. Basch Jos. Em. Herzka Samuel Reitler David Löw Brandeis Henoch Straschnow Abraham Bloch Isaak Österreicher Simon Fried Josef Simon Hermann Schnabel Israel Herzka Markus Mayer Markus Neumann Pirnitz Münchengrätz Münchengrätz Münchengrätz Jungbunzlau Jungbunzlau Jungbunzlau Jungbunzlau Lieben Goltachjenikau Goltach j e nik a u Goltschjenikau Goltschjenikau Kolin Kolin Münchengrätz Neukolin Zbenslowitz Turnau Blinko Prag Prag Prag Prag Prag Prag Prag Pirnitz Polna Polna Ungarn Hrd'lojone Jungbunzlau Jungbunzlau Jungbunzlau Turnau Zwikowetz Neubid