Geschichte der Juden in Neuern. Bearbeitet von Oberlehrer Josef Blau, Neuern. Das Städtchen Neuern (č. Nýrsko) liegt am Oberläufe der Angel, nahe der bayrischen Grenze an einem uralten Steige, der schon vor tausend Jahren Böhmen mit Bayern verband und hauptsächlich dem Salzhandel diente. Im vierzehnten Jht. heißt der Weg in einer Urkunde der „deutsche Steig"1), im sechzehnten schon „Klattau—Vjlshofener Straße"2). Zur Befestigung und Sicherheit dieses alten Handelsweges war vor dem. Eintritt des.Steiges in den Grenzwald die feste Kirchbürg von N. und um 1300 die Burg Bayereck erbaut worden. Um dieselbe Zeit wie Bayereck gründeten die Herren der Burg Bistritz im Tale unter der Kirchburg auf einer Angelinsel eine befestigte Stadt, die nur aus einem großen Marktplatze bestand und für Gassen keinen Räum mehr fand, das heutige Unterneuern. Der Ort war auch Zollstätte und der „deutsche Steig" war durcli diese neue Gründung gerade an dem Punkte abgeriegelt, wo er den wildreißenden Angelfluß überschritt. Von der neuen Stadt erhalten wir die erste Nachricht aus einer lateinischen Urkunde vom J. 1327, mittels welcher König Johann von Böhmen, der Vater Karls IV., seinem Gläubiger Peter von Rosenberg, der schön die Burg Taus von ihm zum Pfände hatte, auch noch die Burg Janowitz mit allem Zugehör und außerdem noch den königl. Zoll im Städtchen N. verpfändete. In der lateinisch geschriebenen Urkunde lautet die auf N. bezügliche Stelle: „ ... superaddentes eis insuper de speciali gratia thelonium in oppido diclo Nyrzko et ad ipsum regnum Boemiae pertinebat seu pertinere poterat modo qualicumque", zu deutsch: (.,... und über dies alles noch obendrauf aus besonderer Gnade den Zoll im Städtlein Neuern genannt, der ebenfalls zum Königreich Böhmen gehört hat, oder auf irgend eine Weise dazu gehört"3). Schon im 14. Jht. gab es in der von N. vier Gehstuu-den entfernten Stadt K 1 a 11 a u einige Judenfamilien. In einem Formular aus der Zeit um das J. 1385 hat sich eine Urkunde König Wenzels IV. erhalten, die den Rechtsstreit zweier Klattauer Juden betrifft; diese „Knechte unserer königl. Kammer" werden dort nur mit den Anfangsbuchstaben P. und A. benannt4). Von der Ansiedlung eines Juden in dem nahe bei N. gelegenen Städtchen Janowitz erfahren wir um 80 Jahre später aus. einer Urkunde, in der der Ritter Ulrich von Janowitz die Bedingungen festsetzt, unter denen sich der Jude Baroch mit seinem Hausgesinde in J. ansässig machen kann. Die Schrift ist am 25. April 1466 in tschech. Sprache ausgestellt worden und besagt folgendes: „Ich . .. gebe bekannt, daß sich der Jude Baroch bei mir mit seinem Gesinde und seiner Habe ansiedeln und bleiben kann, so lange es ihm oděr mir beliebt. Er soll mir jährlich 2 Schock Groschen an Zins geben, und zwar die Hälfte zu St. Georgi, die andere zu Galli. Wenn er nicht mehr hier bleiben und sich bei einem andern Herrn ernähren wollte, es sei dies mit meinem oder ohne mein Wissen, so verspreche ich ihm und seinem Gesinde und. seinem JEigentum drei Meilen weit sicheres Geleil. Auch verspreche ich ihm, daß weder ich, noch mein Burggraf, noch einer meiner Diener ihn zum Geben oder Darleihen von Geld zwingen werden. Wenn diesem Juden jemand Geld schuldet und nicht zählen will, so werde ich oder mein'Burggraf oder jemand von den Ältesten diesen 'Menschen zwingen, das Geld in Kapital und Zinsen zurückzuzahlen. Auch wenn einer von meinen Leuten dem Juden eine Sache als Pfand übergibt, sei es nun ein Panzer oder ein Pferd oder eine Armbrust, so soll ihn weder ich noch mein Burggraf weder zu meinem noch zu des Schuldners Gebrauch zwingen, das Pfand herauszugeben, so lange ihm nicht das Hauptgeld samt den Zinsen oder ein anderes Pfandgut ausgefolgt oder die Schuld mit ihm verglichen worden ist. Und über dies alles gebe ich dem Juden samt seinem Gesinde und seinem Gut das gleiche Recht, wie es andere Juden in Böhmen und in den Städten des Kaisers und Königs und der Herren haben. Dies will ich in Ehren und Treuen halten wie ein guter Christ"5). Diese Schrift aus dem J. 1466 zeigt uns, unter welchen Bedingungen die Ansiedlung von Juden zu jener Zeit auf adeligen Gütern erfolgte, und ist darum ein Beispiel für die Verhältnisse auf dem Janowitz unmittelbar benachbarten Gute Bistritz. unter dessen Schutzobrigkeit das Städtchen N. stand, das wie J. eine alte, aber doppelt so starke J. G. besitzt, die in älterer wie neuerer Zeit nach mehreren Richtungen hin große Bedeutung erlangt hat. Das genaue Jahr, in dem sich die ersten jüdischen Familien in N. ansiedelten, ist nicht bekannt, ja nicht einmal die ungefähre Zeit. Wie in anderen westböhmischen Städten und wie im benachbarten, heute der K. G. Neuern angeschlossenen Janowitz. dürfte die Ansiedlung der Juden schon im 15. Jht. geschehen sein. InTachau soll es sogar schon im 13. Jht. Juden gegeben haben6). Nach 1500 gab es schon Juden in Lub und Kydlin bei Klattau 7), dann in Plan und Haid und schon 1530 erhielt die Stadt W o d n i a n von Kaiser Ferdinand das Recht, keine Juden mehr in ihren Mauern dulden zu müssen. Die Städte Klattau und Taus hatten keine Juden, ebenso Pilsen nicht8). In N. bewohnten die Juden einen ihnen eigens zugewiesenen Ortsteil, den sogenannten „Jude n -winkel" (im Volksmunde „Guunwingal11 genannt), der am südwestlichen Ende der Stadt in Dreiecksform angelegt war. Die Häuser waren fast alle ursprünglich von der Obrigkeit erbaut worden und deren Eigentum; bald aber erkaufte sich ein Jude nach dem andern sein Wohnhaus zum erblichen Eigentum und im Kataster von 1713 heißt es bereits bei 13 Häusern, daß sie „erblich erkauft" seien und nur mehr von 5 „Chalup-pen", daß sie der Obrigkeit gehörten. Von diesen 18 Judenhäusern standen 1713 bereits 17 im Ghetto beisammen, nur eines lag außerhalb des Stadtberinges, jenseits des Flusses. Außerdem gab es noch ein Judenhaus in Oberneuern, ebenfalls abseits der Haupt- oder Kirchenstraße oder, wie man diese früher hieß, des „Marktes". Vorher waren die Juden zum Teil zerstreut in den verschiedenen „Winkeln" außerhalb des Stadtrechteckes von Unterneuern, aber immer noch innerhalb des Grabenringes ansässig gewesen; aus den alten Grundbüchern ersehen wir, wie die Gutsherrschaft in der Zeit nach dem dreißigjährigen Kriege bestrebt war, die Wohnsitze sämtlicher Juden in deren Viertel,zu verlegen. Sie gab damit einem Wunsche der Kirche nach, die die Juden von den Christen abgesondert wissen wollte, weil sie sich für das Seelenheil ihrer Gläubigen aus dem Gemischtwohnen und Durcheinanderleben beider Bekenntnisse nichts Gutes versprach8). Der Besonderheit der Judenhäuser entsprach auch deren andersartige Nummerierung. Als im J. 1771 in den habsburgischen Erbländern die Hausnummern eingeführt wurden, bezeichnete man die Judenhäuser, weil sie für die militärische Einquartierung (derentwegen die Häuser die Nummern bekommen hatten), nicht in Betracht kamen, mit römischen Ziffern, während die Christenhäuser arabische Zeichen erhielten. Dabei erhielt das außerhalb gelegene Haus die Nr. I und -die Häuser im Judenwinkel die Nummern von II bis XVIII. Das Oberneuerner Judenhaus erhielt dort die Nr. I. Die ältesten Nachrichten über die Neuerner Judenschaft gehen bis auf 1618 zurück; wir erfahren diese Namen aus der amtlichen „Judenfassion" von 1724 10), die die Stammväter der damals in N. lebenden Juden anführt, soweit diese schon vor 1618 im Orte ansässig waren. Da lesen wir die Namen: Jonas Windspach mit den Söhnen David und Jakob und der Tochter Feigele; Mayer Bloch mit den Söhnen Lazar und Moyses; J. M ü t z 1, der nur eine Tochter hatte, zu der Elias Hon (Hahn) aus Schüttenhofen nach N. einheiratete; Abraham Zaparth mit seinem Sohne Wolf; Salomon Aron mit dem Sohne gleichen Namens, der ihm aber später in Verlust geriet. Aus der Zeit vor 1618 hat sich, wie wir sehen, nur die Familie B 1 o c h in N. erhalten; sie hat sieh so vermehrt, daß sie die in N. zahlreichste und für unsern Ort geradezu bezeichnende Judenfamilie wurde und N. daher manchmal im Scherze auch „Blochowitz" genannt wird. Es ist anzunehmen, daß die sehr weit in der Welt ausgebreitete Familie Bloch unsere Stadt als ihren Ursitz und ihre Urheimat ansprechen kann. In Schriften aus 1670X1) wird uns der (damals schon verstorbene) „Jude Daniel" aus N. genannt, der ein größeres Vermögen hinterlassen hatte. Aus dem. J. 1694 erfahren wir aus einer im Arch. des Min. des Innern liegenden Schrift12), die Namen der Neueřner Juden Samuel Neumark und H er s c hl. Sie waren beide die Vormünder der Waisen nach Nathaniel N e u e r n. ■ ■■. ■ Genauere und planmäßig zusammengestellte Nachrichten über die Neuerner Judenfamilien und Judenhäuser erfahren wir erst nach 1700; sie stammen aber nicht aus dem Schöße der J. G., denn diese ist durch die großen Brände von 1798 und 1861 um alle ihre Aufzeichnungen gekommen; wir verdanken sie dem Streben des Staates, eine Übersicht über die Steuer- leistungen der Juden zu bekommen, anderseits, dessen Bemühen nach Einschränkung der Zahl der Judenfamilien. In der ersteren Richtung entstand die im J. 1713 verfaßte Familienliste, die dem alten Kataster der Herrschaft Bistritz beiliegt (im Landesarchiv zu Prag), in der zweiten die bereits erwähnte „Juden-fassion" von 1724 und das „Familiantenbuch'''' von 1800 , das die Inhaber der 1800 festgesetzten Familienstellen (im ganzen 23) samt deren Vorfahren und Nachkommen verzeichnet, beide im Arch. des Min. des Innern in Prag. Weitere Nachrichten bringen vor allem die alten Grundbücher (heim Bezirksgerichte N.), dann die Arch. ijer Stadt N. und der Herrschaft Bistritz, von denen das letztere, weil es nicht geordnet ist, nur in geringem. Maße, benützt werden konnte. Die alten Neueruei" Judeahäuser. Das Neuerner Ghetto (siehe Plan) ist eine planmäßige Anlage der Gutsobrigkeit. Hier wurden von ihr fast sämtliche Juden der Stadt angesiedelt und die Häuser dieser kleinen Judenstadt gingen nach und nach durch Kauf und Tausch in den Besitz der Juden über. Hier waren ursprünglich die durchaus hölzernen Häuschen der Juden eng zusammengedrängt, um einen dreieckigen Platz, dessen wichtigster Zugang zwischen den Häusern XVII und XVI gegen den Ringplatz nachts immer durch eine Kette (Eruv) abgeschlossen wurde. Nach dieser Kette heißt noch das Haus Nr. XVI (Nr. 132 neu), an dem die Kette hing, im Volksmunde „beim Keitenjuden". Die römischen Hausnummern waren erst 1771 gegeben worden; vorher bezeichnete man die Häuser (in Urkunden) so, daß man die beiderseitigen Nachbarn angab. Weil aber die Besitzer der Nachbarhäuser öfter wechselten, erscheint uns heute diese Bezeichnung recht ungenau. Die beigegebene Zeichnung stellt den Bauzustand von etwa 1800 dar, als, der Tempel nicht mehr auf d*ém Platze XI, sondern (wie noch heute) schon anstelle des Wünschbachschen Hauses Nr. V stand. Dagegen ist noch das weit in die Hauptstraße hineinragende Haus Nr. XVIII auf dem Plane zu sehen, das ein schweres Verkehrshindernis bildete und daher nach dem Brande von 1861 nicht mehr aufgebaut werden durfte. Die Häuser II und III sind durch ein schmales Gäßlein von einander getrennt; es