Geschichte der Juden in Brüx. Bearbeitet von Rabbiner Dr. Michael Halberstam, Brüx. In Brüx (c. Most) lebten Juden — wie urkundlich nachgewiesen istl) — bereits im 14. und 15. Jht. Die älteste Nachricht über den Aufenthalt von Juden in B. enthält eine aus dem J. 1393 stammende Schuldurkunde, die der Herr auf Riesenburg, Borso der Jüngere, den Juden Ascher und Isaak in B; ausgestellt hatte2). Es ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß die Juden schon früher in B. ansässig waren, etwa seit der Mitte des Í4. Jhts., nachdem Kaiser Karl IV. im Artikel IX der Goldenen Bulle (aus dem J. 1356) bestimmt hatte, daß die Körnige von Böhmen wie andere Fürsten auch Juden unter ihrer Botmäßigkeit halten können ?). Während bisher die Juden nur in der Nähe der kgl. Burgen Schutz fanden, wurde jetzt fast jede kgl. Stadt der Sitz'einer eigenen J. G. So dürfte auch um diese-Zeit in Bv eine kleine jüd. Gemeinde entstanden sein. Im J. 1357 gab es jedoch, wie es scheint, noch keine geldkräftigen Finanziers unter den hiesigen Juden, denn die Brüxer stellen in diesem Jahre den Prageř Juden* einen Schuldbrief auf 75 Schock Prager Groschen aus.Sa) Sind wir hinsichtlich des terminus a quo nur auf Mutmaßungen angewiesen, "so können' wir den terminus ad quem der ersten jüdischen Ansiedlung in B. genauer bestimmen. Im J. 1456 hatten die Juden bereits die Stadt verlassen, was daraus hervorgeht, daß in diesem Jahre der Judenfriedhpf nebst einem Hause und. einem Weingarten in und bei B. von Herzog Friedrich dem Brüxer Hans Wickart für geleistete Dienste geschenkt wurde4). Das kgl. Dekret, mit welchem den Juden der Aufenthalt in B. und in einem Umkreise von einer Meile verboten wurde, stammt freilich erst aus dem J. 1464, doch dürfte dieses Dekret lediglich eine Bestätigung der bereits im J. 1453 von Herzog Friedrich II. gegen die Juden erlassenen Verfügung gewesen sein5). Der erste Aufenthalt der Juden in B. dauerte demnach nur etwa 100 Jahre. Die genaue Lage des mittelalterlichen Ghettos in B. hat vor einigen Jahren der hiesige Gymnasialprofessor Dr. Alois Ott aus den alten Kauf- und Grundbüchern ermittelt6). Das Resultat seiner diesbezüglichen Forschungen läßt sich etwa, wie folgt, zusammenfassen: Die Juden wohnten, während der ganzen Dauer ihres ersten Aufenthaltes in B. vor der Stadtmauer, die bis nach dem J. 1455 unmittelbar hinter dem Minoritenkloster gestanden hatte. Be-stimmit hatten sie in der heutigen Sterngasse gewohnt, die bis ins 18. Jht. hinein als „Judengasse" bezeichnet wurde. Doch dürfte auch die jetzige „Rosmaringasse" (im 16: und 17. Jht. „Schnippelgassl", im 18. Jht. neben „Schlippergassi" auch „kleine Judengasse" genannt) und der zwischen Sterngasse und Rosmarin-gas.se gelegene Abschnitt der Kasernengasse zur ehemaligen Judensiedlung gehört haben, denn letztere Gasse erscheint in einigen kaufbücherlichen Eintragungen aus der ersten Hälfte des 18. Jhts. ebenfalls unter dem Namen „Judengasse". Auch die Lage des im J/ 1456 aufgelassenen Judenfriedhofes kann heute mit ziemlicher Sicherheit angegeben werden. Er befand sich auf dem Graben, diente später als Garten, der im vorigen Jht. die Kat.-Z. 183 erhalten hatte. Dieser Garten wurde in den achtziger Jahren des vorigen Jhts. in öffentliches Gut umgewandelt und bildet seitdem einen Teil jener Rasenfläche, die sich zwischen den unterhalb des Durchhauses und beim Gemeindewirtschaftshof über den als Mühlgraben bezeichneten Bie'laarm führenden Brücken ausdehnt. Unter Aufsicht der hiesigen Museumsleitung wurden am 27. und 28. November 1928 an zwei Stellen dieses Platzes Grabungen vorgenommen, welche im allgemeinen die Richtigkeit der auf Grund der kaufbücherlichen Eintragungen gemachten Feststellung bestätigten. Auf alte Grabsteine mit alten hebräischen Inschriften ist man bei der Grabung leider nicht* gestoßen 7). Aus dem vorhandenen Quellenmaterial erfahren wir auch nichts über die inneren, bzw. religiösen Zustände der Brüxer J. G. während des Mittelalters. Nur das Eine ist daraus ersichtlich, daß die damals hier ansässigen Juden, deren Zahl nicht allzugroß gewesen sein dürfte8), sich hauptsächlich mit Geldgeschäften befaßten. Als Geldverleiher werden in den Brüxer Urkunden genannt: Ascher und Isaac (1393); Eberleyn (Kosename für Eber = Abraham) und seine Ehefrau Hester (1394); Michel und Heynemann oder Heymann = D^H (1413—1418); Smohel-Schmui oder Samuel um 1419); Michel der Größere aus Bilin und Michel der Kleinere aus Melnik (um 1419) 9); neben Heymann (Čech. Hewman) figuriert Jekel (Kosename für Jakob) als Geldgeber (1420), Ein sehr ausgedehntes Geldgeschäft betrieb Isaak allein und in Kompagnie mit seinem Bruder Salman (Schlesinger, Nr. 251 u. 252), seinem Sohne Leben (auch Lebe == Lob), (ibid. Nr. 272 u. 276) und seiner Frau Anna (ibid. Nr. 489). Viele Brüxer Bürger und nicht wenige Edelleute in Böhmen und Sachsen waren seine Schuldner10). Wegen seiner Geldforderungen geriet Isaak in allerlei argen Streit, worauf der Herzog Friedrich von Sachsen und Pfandherr von B. ihn und seine Familie beiderlei Geschlechtes zu B. und Roch-litz ins Gefängnis werfen ließ. Die Gefangenen, von denen Isaak selbst inzwischen im Kerker gestorben war, verpflichteten sich laut Urkunde vom 4. September 1453 (Schlesinger, Nr. 292), für ihre Freilassung 650 Gulden rheinisch in Gold zu zahlen. Unter dieser Bedingung wurden sie freigelassen und gleichzeitig ausgewiesen. Isaaks Vermögen' wurde konfisziert. Sein Sohn Lebe, der hierauf nach Leitmeritz übersiedelt war, mußte einen Revers ausstellen, daß weder er noch seine Brüder noch seine Schwestern, Erben und Erbinnen oder irgend jemand von seinen Freunden den Herzog oder dessen Beamte oder die Stadt B. wegen der beschlagnahmten väterlichen Habe belangen werde.. Diese Verzichtsurkunde ist da* tiert vom 1. November 1456 (Schlesinger, Nr. 293). — Laut Urkunde vom 17. Februar 1456 (Schlesinger, Nr. 335) verpflichtet sich Hans Wickart, den Herzog von Sachsen nicht zu belangen, wenn er auch nicht in den Besitz des ihm von jenem geschenkten Judenfriedhofes, eines Hauses und eines Weingartens in und bei B. gelangen sollte. Somit dürflen in der Zeit von 1453—1456 sämtliche Juden von B. ausgewiesen worden sein. Nach Cori") „mag das Verfahren mit Isak und die gegen die Juden sehr gereizte Stimmung der Brüxer die übrigen Juden in B. be- wogen haben, die Stadt ebenfalls zu verlassen......" . Zweifellos ist die tiefere Ursache für die geschilderten Vorgänge in der großen durch die Hussitenkriege hervorgerufenen sozialen Umwälzung zu .suchen, namentlich in der* Vernichtung des deutschen Bürgertums, was eine Verschlechterung der Lage der Juden in Böhmen zur Folge hatte, so daß dessen Macht nicht mehr vollkommen hinreichte, um den Juden den früher genossenen Schutz nachdrücklich anger deihen zu lassen12). So erklärt es sieht, daß die Juden von B. dem Herzog von Meißen schütz- und wehrlos preisgegeben waren. Daß sie die Stadt nicht freiwillig verlassen haben, beweist auch das Aufenthaltsverbot des Königs Georg von Podiebrad (Dekret vom 20. Juni 1464) 13). Die von B. ausgewiesenen Juden wandten sich vermutlich — ebenso wie der obenerwähnte Sohn Isaaks — nach Leitmeritz, wo sie bei den dortigen Glaubensgenossen Schutz und gastliche Aufnahme fanden. In L. gab es damals noch eine bedeutende J. G., die gegen die Angriffe des Pöbels besser geschützt war als die wenigen jüd. Familien in B. Erst im J. 1541 wurden auch die Juden von Leitmeritz mit Gewalt aus der Stadt gejagt14). Während der Dauer ihres Aufenthaltes in B. waren die Juden — wie dem vorliegenden Quellenmaterial zu entnehmen ist — von der Gerichtsbarkeit des Stadt-richteis ausgeschlossen. Als Kammerknechte des Kaisers oder des regierenden Fürsten genossen sie besondere Rechte und Freiheiten, wofür sie jährlich eine genau festgesetzte Abgabe zu entrichten hatten. Merkwürdiger Weise werden nur einzelne Juden als Besitzer dieser königl. Privilegien nahmhaft gemacht. Vielleicht waren es die Repräsentanten der Judenschaft, die damals den Titel „Judenrichter" führten. So< erklärt in einer aus dem Jahre 1425 stammenden Urkunde (Schlesinger, Nr. 193) Kurfürst Friedrich von Sachsen als Pfandherr von B. den Juden Michel zu B., welchen König Wenzel dieser Stadt gegeben hat, bei den Freiheiten zu belassen, die ihm dieser König ursprünglich zugesichert hat, wofür er sechs Schock Groschen an die kurfürstliche Kammer jährlich zu zahlen hat. In einer zweiten Urkunde aus demselben Jahre (Schlesinger, Nr. 194) huldigen der Bürgermeister, die Geschworenen, Schöffen, Ratsmannen, die Ältesten und die ganze Gemeinde der Stadt B. ihrem Pfandherrn, dem Kurfürsten Friedrich von Sachsen, unter Wahrung ihrer alten Gerechtsame und erklären dabei, „daß ihr eigener Jude Michel von Melnik bei allen Rechten und Begnadigungen sein und bleiben solle, die er, sein Weib, seine Kinder, Erben und sein Gesinde kraft des Majestätsbriefes König Wenzels erhalten haben, gemäß welchem er alljährlich sechs Schock Groschen, nunmehr an die herzogl. Kammer zahlen soll." Als später — wie oben erwähnt — den Juden der Aufenthalt in B. verboten wurde, mußte sich die Stadt verpflichten, alljährlich zu St. Galli einen Zins von 6 Schock Prager Groschen an König Georg zu zahlen. (Schlesinger, Nr. 362.), Im J. 1467 verpfändet König Georg unter anderen Einkünften auch den Juden.zins für eine Schuld von 2000 guten silbernen Groschen an Johann von Kolo-wrath (Schlesinger, Nr. 369). Einige Jahre später (1475) gestattet König Wladislaw der Stadt B. den Kammer- und Judemzins, die er an Johann von Kolo-wrath verpfändet hätte, einzulösen und verspricht, dieselben nie mehr zu verpfänden (Schlesinger, 387). Im J. 1482 befreit König Wladislaw die Stadt B. von der Zahlung des sogenannten Judenzinses im Betrage von 6 Schock böhmischen Groschen (Schlesinger, Nr. 387). Als kaiserl. Kammerknechte erscheinen in einer aus dem J. 1436 stammenden Urkunde die Brüder Isaak und Salomon, Juden zu B., die samt ihren Angehörigen von Kaiser Sigmund der Ehrung enthoben werden, die ihm als römischen Kaiser nach Empfang der Kaiserkrone von der Judenschaft gebührt (Schlesinger, Nr. 234). Außer den angeführten Dokumenten15) ist von der mittelalterlichen Judensiedlung in B. keine Spur mehr vorhanden, es sei denn das enge ghettoartige Gäßchen, das, wie oben gezeigt wurde, ehemals den Namen „Judengasse" führte. Die Frage, ob im 16. und 17. Jht. Juden im Brüxer Bezirk gewöhnt hatten, muß in Anbetracht des Umstaiides, daß das bezügliche archivalische Material noch der Untersuchung harrt16), vorläufig unentschieden bleiben. War auch den Juden der Aufenthalt in B. und in einem Umkreis von einer Meile untersagt17), so konnten sie sich doch in den etwas entfernter gelegenen Dörfern und herrschaftlichen Gütern niederlassen, wie dies für die spätere Zeit bezeugt ist. Sie siedelten sich wohl zunächst in Eidlitz bei Komotau an. Im J. 1750 gestattete Leopold Andrizky von Andriz und Herr auf" Lischnitž ' (ungefähr ' 1 % ' Stunden voli B. entfernt) den Juden, sich allda seßhaft zu machen18). In •■•••- -■ ' ■ - ...... LISGHNITZ (č. Lišnice) entstand mit der Zeit eine kleine jüd. Gemeinde mit einem eigenen K. V. und einer eigenen Synagoge, die erst in den 80 er Jahren des vorigen Jhts., nachdem die meisten Familien in die Stadt "gezogen waren, aufgelassen und in ein Privathaus umgewandelt worden ist. Nach einer amtlichen Statistik aus " dem J. 1861") zählte die J. G. in Lischnitz zu jener Zeit 82 Seelen und waren der dortigen Synagoge auch die Juden der benachbarten Dörfer Hawran, Koppertsch, Seidowitz, Skyritz und Stranitz (insgesamt 41, wovon 32 auf Stranitz entfielen) zugeteilt. Sie hatten keinen eigenen Rb., sondern unterstanden dem Lokalrb. Markus F ü r t h in Eidlitz. Bis in die 60 er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein beherbergte das am nordwestlichen Fuße des Rösöelberges gelegene Dorf HARETH eine stattliche Anzahl von Juden, die sich wahrscheinlich in der 2. Hälfte des 18, Jhts. mit Erlaubnis des damaligen Harether Grundherrn (F. X. Glaser v. Glasersberg) daselbst angesiedelt hatten. Durch die Institution der sog. Familienstellen wurde nur eine bestimmte Anzahl von jüd. Familien zur Ansiedlung zugelassen. In H. gab es 18 Familien-steilen. Ein im Arch. der hiesigen isr. Matrikenführung aufbewahrtes Familianten-Verzeichnis' aus dem